Pinocchio

nach Carlo Collodi von Kristina Kühne
Regie: Christian Zell
Mit: Nina Holtvoeth, Mareike Haas, Philipp Feld, John Paul Roßmy

Foto: Christian Zell (1), Niklas Berg (10)

Frech, neugierig und unbiegsam! So ist diese Marionette, die der Puppenschnitzer Geppetto in großer Aufregung aus einem sprechenden Stück Holz geschnitzt hat - Aus der Werkstatt wird ein Kinderzimmer, aus dem Handwerker ein Papa und aus dem Holz Pinocchio. Die erste Erziehungsmaßnahme steht sofort fest: Pinocchio soll in die Schule gehen. Aber für ein kleines Wesen, das gerade erst die Möglichkeit bekommen hat, die Welt und das Leben zu entdecken, ist alles andere so viel spannender.

Immer wieder versucht Pinocchio, auch mit der Hilfe von der guten Fee und der Grille, gewissenhaft den Erwartungen gerecht zu werden und zur Schule zu gehen. Immer wieder kommt ihm das Leben dazwischen: Mal ist es ein Puppentheater, mal ein Wunderfeld oder auch das legendäre Faulenzerland. Fuchs und Katze sind, zufälligerweise, bei diesen Ablenkungen meist nicht fern - Und sogar sehr hilfsbereit, wenn es darum geht, Pinocchio von seinen Habseligkeiten zu entlasten. Von einem Abenteuer zum nächsten springt die Marionette, lernt dabei die merkwürdige Welt der Erwachsenen kennen und fragt sich immer mehr, wie man denn ein echtes Kind werden kann, ohne dabei versehentlich ein närrischer Esel oder ein dressierter Hund zu werden. Seit über 100 Jahren begeistern die Geschichten um das freche Püppchen die Menschen auf der ganzen Welt. Der Witz und die Unschuld von Pinocchio sind es zum einen, die Frage nach dem Menschsein, und vielleicht noch wichtiger, nach dem Kindsein, sind es zum anderen, die diese Marionette mit langer Nase so zeitlos machen.

Presse

Moderne Version des Pinocchio

VON THOMAS DAHL | Kölner Stadt-Anzeiger

Altstadt-Nord. Schön und furchtbar – zwei Attribute, die vortrefflich den Inhalt von Märchen beschreiben. Man denke nur an die Geschichte von Hänsel und Gretel, das Rumpel- stilzchen, Rotkäppchen oder Schneewittchen, die mit betörender Romantik aber auch Grausamkeiten aufwarten. Ihnen allen zueigen ist zudem der erzieherische Impetus. Kindern, die die vorgeschriebenen Pfade der Erwachsenen verlassen, droht ein schlimmes Schicksal. So auch bei Pinocchio aus der Feder des italienischen Schriftstellers Carlo Collodi (1826-1890). Ein Holzscheit, dass dem Figurenschnitzer Geppet- to zukommt, weist Eigenleben auf und entwickelt sich unter der Hand des Meisters schließlich zur leben- digen Puppe mit menschlichen Eigenschaften. Doch das Wesen er- weist sich als dickköpfig und unbe- lehrbar, gerät in den Einfluss von Ganoven, wird schließlich von Zweifeln gepackt und kehrt reumü- tig zum einsamen Vater zurück, der nur das Beste für einen Sohn wollte, den er nie hatte. Die abenteuerliche Story eroberte die Leserschaft in den vergangenen Dekaden nicht nur aufgrund der Transformation ver- meintlicher Sünden (Bequemlich- keit, Eigensinn, Neugierde) in einen Gegenstand, sondern auch durch die Verflechtung mit dem Sujet„Verein- samung“. Trotz heiterer Momente bleibt im Zuge der Lektüre dennoch das klassische Gefühl der Unbehag- lichkeit im Raume, so, wie sich das für ein Märchen scheinbar gehört. Das Horizont-Theater, Thürm- chenswall 25, entkleidet die Fabel nun in einer modernen Version von den dunklen Gewändern. Unter der Regie von Christian Zell und in einer überarbeiteten Textfassung von Kri- stina Kühne entstand eine 60-minü- tige Hommage an das Leben, in der vor allem die Lust am Dasein und die Erkundung des Unbekannten– auch gegen die gesellschaftlichen Vor- schriften – hervorgehoben werden. Dabei umgeht die Inszenierung das Muster eines „Es war einmal ...“ durch die Erzählung aus der Gegen- wart und eröffnet die Möglichkeit des „Es ist“.

Das homogene Ensemble (Nina Holtvoeth, Mareike Haas, Philipp Feld, John Paul Roßmy) ist perma- nent in Bewegung, schlüpft im Mi- nutentakt in Doppelrollen, füllt den Raum mit charismatischer Präsenz, macht sich lachend zum Esel, um postwendend dem Humanismus Tribut zu zollen. Darüber hinaus de- monstrieren die Theatermacher, das auch mit reduzierten Mitteln fantasievolle Bühnenlandschaften entstehen können. Das Stück für Zu- schauerinnen und Zuschauer ab sechs Jahren ermutigt sein Publi- kum spielerisch, die Welt mit den eigenen Sinnen zu erkunden. Pinoc- chio – ein Ausrufezeichen für die Kindheit, das den Drohgebärden der Märchenwelt endlich den faulen Zahn zieht.